Sukzession und Individuation

 

Der Begriff Sukzession kommt von sukzessiv, nachfolgend… In Bezug auf das Thema hier ist er so zu verstehen, dass ausgehend von einem initialen Impuls, der durch eine Person neu ins Leben gebracht wird, eine Bewegung entsteht, in der andere Menschen diesen Impuls bzw. diese Lehrinhalte oder Übungspraktiken an Dritte weitergeben oder vermitteln. 

 

Die „nachfolgende“ Person nimmt einen originalen Inhalt auf und gibt diesen an einen nächsten Menschen weiter. In der Regel wird der übernommene Inhalt nur teilweise oder gar nicht durch selbständige Erkenntnis durchdrungen, so dass dieser mehr als eine Information oder auch mit einer subjektiven Verfärbung an den nächsten weitergegeben wird. Dadurch entsteht eine Verwässerung und Verfärbung eines ursprünglichen Inhaltes.

 

Oder es handelt sich um eine Übungsweise oder bestimmte Anwendung, die eine Person aus eigenständiger Forschung entwickelt hat. Durch das Verständnis zu den Zusammenhängen ist bei dieser Person diese Anwendung oder Übung substanziell, belebend und wirkungsvoll für andere Menschen. Wird nun diese Praxisanwendung oder Übungsweise von einer zweiten Person an Dritte weitergegeben, und von der dritten an vierte usw., so bleibt in der Regel das Übungssystem als äußere Form übrig, die jedoch über die Kette der Weitergabe ihr ursprünglich inneliegendes Verständnis der Zusammenhänge, das die erste Person hineingelegte, verloren hat. Es wird die äußere Form weitergegeben, aber der ursprüngliche authentische  „Geist“ darin (also das tiefere Verständnis und die Erkenntnis zu den Zusammenhängen) verwässert oder verliert sich.

 

In der Sukzession tritt also eine Folge ein von einem Original zu einem zweiten, dritten, vierten usw. Nachfolger:

 

 

Der Begriff der Individuation beschreibt nun ein Gegenteil. Ein originaler Inhalt oder eine Übungspraxis werden von der zweiten Person nicht nur übernommen und weitergegeben, sondern er wird so lange erforscht und ergründet, bis er von der zweiten Person erkenntnismäßig so intensiv durchdrungen wurde, dass der Inhalt oder die Praxis zur eigenen Identität und Authentizität wird. Der Zweite belässt genau genommen den originalen Inhalt bei der ersten Person, quasi in deren Zugehörigkeit, und wendet sich so intensiv forschend hin, bis er die Sache selbst durchdrungen hat und sie Teil seines Herzens oder seiner Seele geworden ist. Dann kann er diesen Inhalt fachkundig, authentisch, frei und wahrheitsgetreu wiederum an einen nächsten Menschen weitergeben.

 

Die Inhalte, die der Zweite übernimmt und noch nicht genügend selbst durchdrungen hat, werden - wenn sie weitergegeben werden - als zugehörig zum Urheber gekennzeichnet. Dadurch ist für den Dritten eine Ordnung und Nachvollziehbarkeit gegeben.   

 

 

Der obere Pfeil bedeutet die Forschungsarbeit und Hinwendung des Zweiten hin zum Original und der untere Pfeil symbolisiert die Erkenntnis, die der Zweite durch seine Arbeit empfängt. Dadurch wird er betreffend seiner Erkenntnis selbst zum „Original“ und kann zu nächsten Personen authentisch vermitteln.

 

Interessant ist in diesem Zusammenhang wieder die Beschreibung von Erich Fromm in seinem Buch "Haben oder Sein" über die Haben-Form und die Seins-Form des Lernens.

 

Aus dieser Unterscheidung kommt man in ähnlichem Sinne zu dem Verständnis der Begriffe Esoterik und Exoterik.